Von Sittenverfall, falschem Ablasshandel und geistlichen Sündern

 Bereits an der Prager Universität war Hus in Kontakt mit den Lehren des englischen Kirchenkritikers John Wyclif (gest. 1384) gekommen. Dieser vertrat unter anderem die Meinung, dass alleine Gott Gnade gewähre und der Mensch hierfür keines Priesters bedürfe. Wyclif missbilligte Bilder-, Heiligen- und Reliquienverehrung und fertigte außerdem eine englischsprachige Übersetzung der lateinischen Bibel an. Jan Hus übernahm einen Teil der Lehren des Theologen, dessen Schriften 1382 als ketzerisch verurteilt worden waren, vertrat jedoch auch eigene Überzeugungen.

Als Priester hielt Jan Hus jährlich etwa 200 Predigten in tschechischer Sprache. Darin verschärfte er zunehmend die zu der Zeit übliche, jedoch eher allgemein gehaltene Kirchenkritik und fand bei den Zuhörern offenbar große Zustimmung. Er wandte sich gegen den Reichtum und Sittenverfall in der Kirche, gegen die klerikale Hierarchie und das Papsttum.

 

Bild: Die rekonstruierte Bethlehemskapelle in der Prager Altstadt war der Hauptwirkungsort von Jan Hus

Hus formulierte seine Vorwürfe jedoch nicht nur allgemein, sondern griff den Prager Klerus direkt an, indem er die Namen der geistlichen Sünder öffentlich nannte.

Er war der Überzeugung, die Kirche sei eine Gemeinschaft der Erwählten. Die Erwählung und Verdammung der Menschen seien unveränderliche Festlegungen Gottes und nur Gott könne Sünden vergeben oder einen hartnäckigen Sünder verbannen. Den Handel mit Ablässen lehnte er ab. Einzig wahre Quelle der Wahrheit Gottes sei die Bibel, nur daraus sowie aus den Beschlüssen früherer Konzilien und den Schriften der Kirchenväter sollte die Kirche ihre Lehren schöpfen.

Das Kirchenverständnis von Hus gefährdete in den Augen der Konzilsväter die Autorität der Kirche. Die Kernpunkte der Anklage gegen Jan Hus umfassten denn auch seinen Wyclifismus. Schon vor der Verbrennung von Jan Hus verurteilte das Konstanzer Konzil am 4. Mai 1415 schon Wyclif zum Ketzer, seine Gebeine verbrannte man 1428.