Frankreich zur Zeit des Konstanzer Konzils

Das Heimatland der französischen Delegierten hatte zur Konzilszeit mit mehreren Krisen gleichzeitig zu kämpfen: Seit 1337 herrschte zwischen England und Frankreich der später so genannte Hundertjährige Krieg. Es ging um Lehensrechte sowie um die französische Thronfolge, wenn auch seit 1386 bzw. 1396 ein Friedensvertrag zwischen beiden Ländern bestand und der Konflikt zu Beginn des Konzil gerade ruhte.

Zudem hatte der französische König Karl VI. seit 1392 immer wieder Phasen der geistigen Verwirrung erlitten, was in seiner Verwandtschaft zu einem erbitterten Streit um die Macht im Land führte. Der Streit eskalierte, als 1407 Johann Ohnefurcht von Burgund den Auftrag erteilte, seinen Vetter Herzog Ludwig von Orléans, den jüngeren Bruder des Königs, auf offener Straße zu ermorden. In Folge dessen entbrannte ein offener Bürgerkrieg zwischen den Burgundern und den Anhängern des Hauses Orléans. Der Pariser Magister Jean Petit stellte sich auf die Seite der Burgunder und verteidigte im März 1408 die Tat vor dem Königshof als erlaubten, ja sogar gebotenen „Tyrannenmord", während die Gegner der Burgunder diese Aussagen scharf zurückwiesen. Der Streit fand kein Ende. 1412 nahm sich Jean Gerson, einer der bedeutendsten Theologen seiner Zeit, der Sache an und argumentierte gegen die Rechtfertigung Jean Petits, der bereits 1411 verstorben war. Gerson stieß damit ebenfalls auf harten Widerstand brachte die Sache 1414 mit an den Bodensee, wo er als Gesandter des Königs weilte. So befasste sich auch das Konstanzer Konzil mit der Frage des „Tyrannenmordes", bezog jedoch aufgrund kirchenpolitischer Konstellationen lange Zeit keine eindeutige Stellung.

1415 entbrannte der Konflikt erneut. Mit der englischen Invasion nach der bekannten Schlacht von Azincourt, in der die englische Armee die deutlich übermächtigen französischen Truppen überraschend besiegte, endete die friedliche Phase. Das Wiederaufleben des Hundertjährigen Krieges stürzte Frankreich in eine existenzielle Krise. Der Streit zwischen den Burgundern und dem Hause Orléans zur wurde zur Nebensächlichkeit.

 

 

Bild: Grabmal des Herzogs von Burgund Johann Ohnefurcht und seiner Gattin, Musée des Beaux-Arts (Dijon), ©Konzilstadt