Wie klingt die musikalische Auseinandersetzung mit Jan Hus im Jahre 2015, 600 Jahre nach seinem Tod?

Zu hören ist das bei der Uraufführung des Hus-Oratoriums im Rahmen des Bodenseefestivals am Samstag, den 9. Mai 2015 im Konstanzer Münster. Unter Leitung von Benjamin Lack bringen Orchester, Chor und Solisten des Vorarlberger Landeskonservatoriums sowie der Kammerchor Feldkirch die Neukomposition im Münster zur Uraufführung. Karen Bauer von der Konzilstadt Konstanz sprach vorab mit dem Komponisten Francisco Obieta.

Was hat Sie an der musikalischen Auseinandersetzung mit der 600 Jahre alten Geschichte von Jan Hus gereizt?
Obieta: Mein Hauptanliegen war es, die Wirkung von historischen Ereignissen in der Gegenwart zu untersuchen. Die Geschichte von Jan Hus ist zeitlos für mich. Ich frage mich: Was treibt einen Denker dazu, für seine Überzeugung in den Tod zu gehen? Sturheit? Machtlosigkeit? Wurde er überrollt von den Ereignissen? Von der Spirale der eigenen Taten? Ich glaube nicht, dass es eine Antwort gibt. Die Kunst stellt die Fragen. Die Kunst legt die Wunde offen.

Was verbindet Sie mit Jan Hus und seiner Geschichte?
Obieta: Ich bin katholisch getauft, aber mit Mitte 20 bin ich übergetreten in die evangelische Kirche. Ich habe mich viel mit der Geschichte von Reformatoren beschäftigt. Mit Luther, Zwingli – und auch Jan Hus. Zu ihren Lebzeiten haben die Reformatoren mit dem Feuer gespielt, sie haben versucht wahnsinnig große Dinge zu bewegen. Ich habe Hus' Schriften gelesen und schätze vor allem seine Predigt zum Thema „Wahrheit". Hus ist zu seiner Zeit angeeckt wie eine Flipperkugel! Und seine Konsequenz, in den Tod zu gehen, beeindruckt mich.

Gibt es auch Punkte, in denen Sie mit Hus uneinig sind?
Obieta: Seine extreme Vision, dass die Heilige Schrift allein maßgebend ist, teile ich nicht. Die Bibel ist nur eine Auswahl von Schriften, eine gepanschte Auswahl.
Und Hus hatte teilweise extrem fanatische Einstellungen. Die machen ihn als historische Figur nicht sympathisch. Aber man schreibt nicht über ihn, weil er sympathisch ist. Und vielleicht war ein gewisser Fanatismus in der Zeit notwendig, um überhaupt etwas in Bewegung zu setzen?

Was war zuerst da – der Text von Ivo Ledergerber oder Ihre Musik?
Obieta: Normalerweise sollte der Text zuerst da sein. In diesem Fall war es aber eher wie eine gegenseitige Befruchtung. Ivo schrieb einen ersten Text, dann ich Musik, dann kam mehr Text von Ivo Ledergerber. Er hat die Gabe, simpel zu sprechen und zu schreiben. Auch über Themen, die andere Menschen sehr komplex finden. Dabei wird er aber niemals banal. Ivos Worte haben Schlagkraft!

In welchem Verhältnis stehen in dem Oratorium Text und Instrumente, Gesang und Musik?
Obieta: Alle Instrumente haben Einiges zu tun. Aber in keinem Moment gibt es ein Soli für ein Instrument. Wenn, dann unterstützt es eine Gesangsstimme. Der Zusammenklang steht für mich im Vordergrund, ganz im Sinne eines Wagner'schen Gesamtkunstwerks.

Haben Sie sich von der Komposition von Carl Loewe oder der Hus-Messe inspirieren lassen?
Obieta: Ja, ich habe sie gehört, aber ich ziehe keine Parallelen dazu.

Sie haben eine Neukomposition über eine 600 Jahre alte Figur und Geschichte geschrieben. Wie historisch und wie zeitgenössisch ist Ihre Musik?
Obieta: Ich schreibe Musik, die aktuell ist, aber nicht unbedingt unter dem Begriff „zeitgenössische Musik" läuft. Zeitgenössische Musik hat oft den Stempel, zu intellektuell zu sein und ist den meisten Menschen fremd. Das ist nicht mein Weg.
Meine Musik ist vielschichtig. Meine Kompositionen sind nicht kommerziell oder leicht verdaulich. Aber wenn die erste Schicht nicht anregt weiterzusuchen, ist das schade. Ich hoffe, wenn ich Musik schreibe, dass mein Werk beim ersten Anhören gefällt und zu weiterer Lektüre motiviert. Wer sich eingehender damit befasst, der kann mehrere Schichten entdecken. Auch Schichten, von denen ich als Komponist gar nichts weiß. Die Assoziationen sind den Hörern freigestellt.

Verraten Sie uns ein Beispiel?
Obieta: Es gibt ein Motiv, das das Schreiben der Mönche auf Pergament akustisch darstellt. Wenn Jan Hus verbrannt wird, gibt es ein Flammen-Motiv. Nur wer genau hinhört, bemerkt, dass es dasselbe Motiv ist. Das Flammen-Motiv ist nur dreimal so schnell gespielt!
Dadurch gibt es eine Parallele zwischen der Zellulose des Papiers zu der des Brennholzes. Dass Jan Hus seine Wahrheit ausgesprochen und aufgeschrieben hat, war sein Verhängnis.

Welche Rolle spielt mittelalterliche Musik in Ihrer Komposition?
Obieta: In der Besetzung des Oratoriums gibt es eine Gruppe, die ich „mittelalterliche Combo" nenne. Das sind drei Blockflöten, eine Laute und ein Perkussionist. Die Combo taucht relativ am Anfang auf. Einige Motive erinnern zunächst an mittelalterliche Musik. Aber im Verlauf des Oratoriums entwickeln sich diese musikalischen Motive, werden nach und nach aktueller. Ich wollte auch musikalisch die 600 Jahre Abstand darstellen. Am Schluss mischt sich die Combo mit dem ganzen Orchester. Außerdem gibt es ein Saxophonquartett, das die Sänger oft begleitet. Blockflöten und Saxophone in einem Symphonie-Orchester – das ist ungewöhnlich. Aber es mischt sich unglaublich gut!

Woher wissen Sie beim Komponieren, dass diese ungewöhnliche Kombination gut klingt?
Obieta: Komponieren ist ähnlich wie Kochen. Man muss neugierig sein und einfach probieren.
Man muss die Zutaten kennen und man braucht Erfahrung – die habe ich. Ich dirigiere Blasorchester und Kammerorchester und weiß, wie die Instrumente klingen. Von zehn oder zwanzig Versuchen gibt es einen, der misslingt. Wenn etwas nicht funktioniert, muss man ehrlich mit sich selbst sein.

Wie lange dauerte das Komponieren?
Obieta: Ich arbeite recht schnell, insgesamt waren es sechs Monate.

Wie fühlen Sie sich vor der Uraufführung? Sind Sie gespannt, wie der Dirigent Benjamin Lack Ihre Komposition mit den Musikern des Vorarlberger Landeskonservatoriums umsetzt?
Obieta: Manchmal dirigiere ich meine Werke selbst. Aber sehr oft versuche ich, dass jemand anderes sich an einer Lektüre versucht. Damit habe ich gute und weniger gute Erfahrungen gemacht. Aber Benjamin Lack kenne ich gut und er ist ein exzellenter Musiker. Ich bin sicher, dass er in meinem Stück Dinge entdecken wird, von denen ich selbst nicht wusste, dass ich sie hinein gelegt habe.

Was bedeutet es für Sie, dass die Uraufführung Ihres Hus-Oratoriums im Münster, am Ort der Verurteilung von Jan Hus, stattfindet?
Obieta: Es erfüllt mich mit einer großen Ehrfurcht. 600 Jahre später am Ort des Geschehens ein Kunstwerk über die Hauptperson produzieren und aufführen zu dürfen, ist ein Glück, das sich sehr selten ergibt. Ich bin der Stadt Konstanz und der Konzilstadt Konstanz sehr dankbar für diese einmalige Gelegenheit.

Verbrennt das Feuer!
Ein Jan Hus-Oratorium von Francisco Obieta über Texte von Ivo Ledergerber (UA)
Samstag, 09. Mai 2015, 20 Uhr
Münster Konstanz | Freie Platzwahl | Einlass 19.30 Uhr
19 Uhr Einführung mit Francisco Obieta (Kapitelsaal, Münster Konstanz)

Tickets:
VVK 14€/8€ erm. | AK 16€/10€
Theater Konstanz, www.theaterkonstanz.de
Information und Reservierung: +49 (0)7531 900 150 theaterkasse@konstanz.de