Armut im Konstanz des 15. Jahrhunderts
In der mittelalterlichen Stadt lassen sich zwei Formen der Armut unterscheiden: die unfreiwillige und die freiwillige Armut. Während erstere oft unverschuldet aus der Ausübung schlecht bezahlter Arbeit oder aus dem Verlust derselben resultierte und vielmals als unabänderliches Schicksal hingenommen wurde, galt die freiwillige Armut als christliches Ideal. Im 13. Jahrhundert entstanden hieraus unter anderem die Bettelorden, die sich kurze Zeit später auch in Konstanz ansiedelten. Ihre ehemaligen Sitze, das Dominikaner- und das Franziskanerkloster, existieren noch heute und beherbergen das Inselhotel sowie die Stephansschule.
Die unfreiwillige Armut war in der mittelalterlichen Stadt ein sehr weit verbreitetes Phänomen und gehörte zu den größten sozialen Problemen überhaupt. Sie schlug sich in der städtischen Topographie nieder: So wohnten in Konstanz weniger geachtete Leute entweder in der Vorstadt Stadelhofen oder aber am Rande der Ummauerung, wo der Ziegelgraben lag. Auch der Henker und die Bordelle waren hier angesiedelt. Heute befinden sich hier der Rheinsteig und der Beginn der Unteren Laube.
Was die Zusammensetzung der Stadtbevölkerung im Konstanz der Konzilsjahre anbelangt, war das soziale Gefälle offenbar besonders groß: Rund zehn Prozent der Steuerzahler stellten im Jahr 1418 über mehr als zwei Drittel des Gesamtsteueraufkommens. Zahlreiche zugereiste Konzilsteilnehmer drohten in die Armut abzurutschen: Da kaum einer von ihnen auf eine derart lange Versammlungsdauer eingestellt gewesen sein dürfte, kamen viele bald in finanzielle Schwierigkeiten. Mittellose Konzilsteilnehmer konnten sich im Zuge von Ausbesserungsarbeiten an der Stadtmauer zumindest das Lebensnotwendige verdienen. Neben diesem öffentlichen Arbeitsbeschaffungsprogramm der Stadt, gab es die Alternative der Aufnahme eines Darlehens. Allein 73 Finanziers, die ausschließlich den Papst und die Kurie mit Bargeld versorgten, sowie 60 weitere, die frei Darlehen vergaben, zählte Ulrich Richental in seiner Chronik auf. Die Zinsen, die diese trotz der Wucherverbote der Kirche auf das verliehene Geld erhoben, waren gewaltig und lagen bei bis zu 43 %! Auch das Anschreiben bei Wirten und Händlern der Stadt war eine Option, von der reichlich Gebrauch gemacht worden sein dürfte.
Das Konzil zog eine weitere Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich nach sich. Die Zahl der Mittellosen stieg von rund 60 % im Jahr 1418 auf 82 % im Jahr 1428 an, während sich die sowieso schmale Mittelschicht um zwei Drittel verringerte. Wirklich profitieren konnten vom Konzil nur die Angehörigen der alten Konstanzer Geschlechter, wie beispielsweise die Familie Muntprat, sowie einige mutige Spekulanten. Und die Stadt Konstanz selbst profitierte vom Konzil, wenn auch längst nicht im von ihr erhofften Ausmaß.