„Der Besucher soll zum Performer werden!“
Der Südtiroler Künstler Hannes Egger (33) ist für die Kunstausstellung „Meeting Point", ein Projekt vom Kunstverein Konstanz, nach Konstanz gereist und hat seine begehbare Installation, die „Tiroler Stube", in den Durchgang zum Kunstverein in der Wessenbergstraße 41 gezimmert. Im Gespräch erzählt er Konzilgeschichte(n), spricht über die Verbindung zwischen Konstanz und Südtirol und lädt Besucher zum Übernachten in seinem Kunstwerk und zur Verkostung der Alt-Tiroler Spezialität „Strangolareti alle Trentina", zu Deutsch „Priester-Würger", ein. Mit Hannes Egger sprach Karen Bauer.
Hannes, was verbindet dich mit Konstanz und dem Konstanzer Konzil?
Ich war vor diesem Projekt noch nie in Konstanz. Der Kurator Axel Lapp ist mit der Idee Meran und Konstanz zu verbinden, auf mich zugekommen.
Aber ich habe ziemlich viel über Oswald von Wolkenstein, der aus Südtirol stammte, gelesen. Er war sehr weltmännisch, auf Risiko aus, hatte ein total spannendes Leben! Und seine Texte sind einfach unglaublich – auch literarisch wunderschön! Nach Konstanz kam Oswald von Wolkenstein im Gefolge von König Sigismund.
Die Tiroler Delegation war auch spannend, denn Herzog Friedrich IV. von Tirol unterstützte den Gegenpapst Johannes XXIII. Als der seine Chancen auf den Stuhl Petri dahinschwinden sah, verhalf ihm „Friedrich mit den leeren Taschen" zur Flucht. Der Papst wurde gefasst, aber Friedrich kehrte über die Berge zurück nach Tirol. Unterwegs machte er auf dem Finailhof im Schnalstal Rast. Dort wird noch heute ein Becher verwahrt, den der Herzog zum Dank zurückgelassen haben soll.
Hast du selbst Geschichtsbücher gewälzt und historische Recherche betrieben zum Thema Wohnen im Mittelalter im Vergleich zu heute?
Nein, ich hatte die Befürchtung, dass ich zu sehr in die Historie hineinfalle.
Wie bist du auf die Idee gekommen, eine begehbare Installation zu schaffen, in der Besucher am Wochenende nach Anmeldung auch kostenlos übernachten können?
Ich habe mir überlegt: Was heißt das, wenn die Bevölkerung sich plötzlich verdoppelt? Das sind prekäre Situationen. Deshalb diese einfache Bauweise, dieses Unterschlupfanmutende, dieses Biwak-artige.
Mein Wunsch ist es, Menschen sehr weit in die Kunst reinzulassen, ihnen intime Räume zu bieten. Ich möchte, dass Besucher eine aktive Rolle einnehmen, zu Performern werden.
Wie viel Konstanz und wieviel Südtirol stecken in der „Tiroler Stube"?
Das Material stammt aus dem Kunstverein Konstanz, aus den Kellern, Lagern, Garagen des Vereins und der Mitarbeiter. Es war mir wichtig mit dem Material vor Ort zu arbeiten. Nur mit Holz einen verschalten Raum zu bilden, ist aber typisch für eine Tiroler Stube. Die Stube ist Zentrum einer Wohnung, hier bittet man Besucher hinein. Sie soll gemütlich sein. Lange war die Stube der einzige warme, beheizbare Raum in einem Haus. Das ist also ein Stück Tiroler Lebensart. Außerdem gibt es noch einige Flaschen Südtiroler Bier in der Stube, das war ein Mitbringsel von mir. In der Stube hängt eine Gabel an der Wand, als Kleiderhaken. Das ist ein Verweis an den Becher von Herzog Friedrich.
Und in der Stube läuft tagsüber eine CD mit zeitgenössischer Musik von der Südtiroler Gruppe „Opas Diandl". Die vertonen, bearbeiten, interpretieren Texte von Oswald von Wolkenstein neu.
Wie soll die „Tiroler Stube" benutzt werden?
Also ich freu mich über jede Übernachtung dort, über jedes Hineingehen, über jeden Vorschlag dort etwas zu veranstalten. Die Stube soll benutzt werden, soll leben. Und sie lebt, wenn Menschen dort sind. Sie ist wie eine Plattform und macht erst dann Sinn wenn jemand dort ist. Und übernachten ist eine intensive Form der Benutzung.
Der Wohnraum ist auch 600 Jahre nach dem Konzil extrem knapp in Konstanz. Verfolgst du mit deinem Kunstwerk eine politische Absicht?
Ich glaube, dass jede öffentliche Aussage – und Kunst ist per se eine öffentliche Aussage – immer auch eine politische Aussage impliziert. Dass der Wohnungsmarkt in Konstanz schwierig ist, wusste ich natürlich. Darum hängt beispielsweise eine Seite mit Wohnungsanzeigen in der „Tiroler Stube".
Aber jemand, der nicht aus Konstanz stammt und von außerhalb kommt, kann auch andere Dinge und Bedeutungen darin entdecken. Das Kunstwerk ist dafür offen. Die Besucher sollen selbst überlegen, ich habe nur Spuren gelegt. Die ganze Stube ist eine Spur, wenn man so will.
In der Tiroler Stube steht in einem Regal eine Dose von Campbell's Tomato Soup, wie sie durch Grafiken des Künstlers Andy Warhol berühmt geworden ist. Warum?
Ich hatte Lust irgendetwas hereinzunehmen, das mit Essen zu tun hat. Ansonsten ist es einfach ein Verweis an die Kunstgeschichte. Die Dose sollte lustig auffallen, und alles durcheinander bringen. In der Stube finden sich mehrere Verweise auf den Kunstbetrieb.
Am 19. Juli kochst du in der Tiroler Stube für Besucher „Strangolapreti alla Trentina" – was hat es damit auf sich?
Auf Deutsch heißt das in etwa „Priester-Würger" und ist eine Pasta-Spezialität aus der Stadt Trient. Dort fand im 16. Jahrhundert auch ein Konzil statt . Die Erzählung besagt, dass die Lebensmittelpreise aufgrund der vielen Besucher so stark stiegen, dass sich die Bevölkerung sich irgendwann wünschte, die Priester mögen daran ersticken. Es schmeckt aber gut!
Wie ist die Verbindung zwischen Bodenseeregion/Konstanz und Südtirol heute?
In der Historie gab es immer wieder Verbindungen der Regionen. Die Region Vinschgau beispielsweise war lange Zeit sehr verarmt. Daher kamen bis in die 1920er Jahre viele Bauernkinder im Frühling über die Berge auf die Höfe nördlich der Alpen um dort zu arbeiten. Man nannte sie die Schwabenkinder".. Da gibt es viele Verbindungen.
Heute ist Südtirol vor allem ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel für Menschen der Bodenseeregion.
Am 14. August findet daher ein besonderer Bilderabend in der Tiroler Stube statt. Die Gäste sollen ihre liebsten Urlaubsbilder aus Südtirol mitbringen, gemeinsam erkunden wir dann die persönlichen Bildwelten von Südtirol.
Die Ausstellung „Meeting Point" bietet bis 30. August 2015 im Kunstverein Konstanz, im Kunstraum Kreuzlingen und an vielen Schauplätzen des Konstanzer Konzils in der Stadt zeitgenössische und ortsspezifische Kunst internationaler Künstler. Ergänzend finden Führungen, Wandelkonzerte und Künstlergespräche statt.
Alle Informationen unter www.meetingpoint-2015.eu/ und www.kunstverein-konstanz.de.
Bilder:
links: Hannes Egger im Interview. ©Elisa Nicoli
rechts: Inneres Tiroler Stube ©Stefan Postius