Papier und Feder
Schriftlichkeit zur Konzilszeit
Zu großen Teilen ist es Ulrich Richental zu verdanken, dass wir heute so gut über das Konzilgeschehen und seine Nebenschauplätze Bescheid wissen. 16 Handschriften der Konzilschronik sind noch überliefert, wahrscheinlich existierte im 15. und 16. Jahrhundert noch mehr. Doch wer besaß eigentlich eine solche Handschrift? Wer produzierte sie? Und wer konnte sie im Mittelalter überhaupt lesen?
Entgegen aller Klischees waren im Spätmittelalter Lese- und Schreibkenntnisse verhältnismäßig weit verbreitet. Heutigen Schätzungen zufolge konnten zur Konzilzeit etwa 30 Prozent der städtischen Bevölkerung lesen und schreiben. Insbesondere die Weiterentwicklung von Handel und Handwerk, aber auch die Entstehung eines Verwaltungsschrifttums und eines extra dafür geschulten Beamtenapparats hatten diese Entwicklung gefördert. Neben den Kloster- und Domschulen und den Universitäten waren ebenfalls die Städte seit dem Hochmittelalter zu Bildungszentren geworden.
Es wurden Schriftarten entwickelt, die sich durch Klarheit und Einfachheit des Schriftbildes auszeichneten. Während über viele Jahrhunderte fast ausschließlich Latein die Schriftsprache Europas war, wurde ab dem 13. und 14. Jahrhundert zunehmend auch in der Volkssprache geschrieben. Im 14. Jahrhundert verbreitete sich dann das Papier in Europa und löste das wesentlich aufwendiger herzustellende und deutlich teurere Pergament ab. Seit 1402 in Ravensburg eine der ersten Papiermühlen nördlich der Alpen entstanden war, war Papier zudem ein verhältnismäßig leicht verfügbarer Rohstoff in der Region geworden.
Die Buchproduktion fand zur Zeit des Konzils längst nicht mehr ausschließlich in Klöstern statt. Ebenso bürgerliche Werkstätten produzierten Bücher. Mehrere Exemplare der Konzilschronik wurden nachweislich in der Schreibstube des Konstanzer Bürgers Gebhard Dacher hergestellt. Die Bücher wurden wahrscheinlich in mehreren Arbeitsgängen produziert: Zuerst wurden von Schreibern, vermutlich nach einer Vorlage und den Wünschen des Kunden angepasst, die Texte geschrieben und an den entsprechenden Stellen Lücken für Illustrationen gelassen. Dann malten die Buchillustratoren nach genauen Anweisungen die Bilder.
Die produzierten Bücher konnten hinsichtlich Größe und Ausstattung stark variieren – jeweils abhängig von den Wünschen und finanziellen Möglichkeiten des Auftraggebers. Wer schöne, womöglich noch mit kostbarem Gold eingefasste, Bilder in seinem Buch wollte, musste dafür tief in die Tasche greifen. Das fällt auch bei den Handschriften der Konzilschronik auf – es gibt größere und kleinere, illustrierte und nicht-illustrierte Exemplare, aufwändig und weniger aufwändig gestaltete Buchdeckel, dickeres und dünneres Papier.
Natürlich war Ulrich Richental nicht der einzige Zeitgenosse des Konzils, der las und schrieb. Zahlreiche Konzilsbesucher standen in regem Briefkontakt mit der Heimat, die vielen Händler und Kaufleute führten eifrig Listen über Warenein- und -ausgänge und auch die Konzilsteilnehmer verschriftlichten einiges, was in den einzelnen Sitzungen geschah.
Als ein starker Antriebsmotor für die weitere Entwicklung der Schriftlichkeit sollte sich die Tätigkeit einiger, vor allem italienischer, Konzilsbesucher erweisen: Sie bereisten die zahlreichen kleinen und großen Bibliotheken rund um den Bodensee und kopierten eifrig die dort gefundenen, viele Jahrhunderte alten und längst vergessenen Werke antiker Autoren. Die Wiederverbreitung dieser Werke sollte die folgenden Jahrhunderte unter der Bezeichnung Humanismus prägen.