am 29. Mai 2016

von Rolf Böhme

 

Am 30. Mai diesen Jahres jährte sich der Todestag von Hieronymus von Prag zum 600. Mal. Gemeinsam mit zahlreichen Gästen aus Tschechien erinnerte die Stadt Konstanz in verschiedenen Veranstaltungen an den umtriebigen Gelehrten aus Böhmen, der vom Konstanzer Konzil zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Dass auch das Schicksal von Hieronymus von Prag in Konstanz zum historischen Gedächtnis gehört, berichtete Dr. Rolf Böhme, ehemaliger Oberbürgermeister von Freiburg und gebürtiger Konstanzer. Sein Grußwort können Sie hier nachlesen:

Wir haben uns heute zu einem Gedenken an Hieronymus von Prag versammelt, hier am Hussenstein, dem Ort der letzten Stunden der böhmischen Reformatoren Jan Hus und Hieronymus von Prag. Die historische Bedeutung des Konzils von Konstanz und sein Ablauf wurden im Rahmen der aktuellen 600-Jahrfeiern oft dargestellt und sind auch heute der Anlass unseres Gedenkens. Mein Beitrag steht auch in diesem Zusammenhang, will aber zusätzlich deutlich machen, dass das Konzil und seine prägenden Persönlichkeiten Jan Hus und Hieronymus von Prag nicht nur an steinernen Gedenkstätten und in Museen ihren Platz haben, sondern auch im kollektiven und individuellen Gedächtnis der Stadt weiterleben. Als ein Zeitzeuge will ich drei Beispiele nennen.

Beginnen wir hier mit dem Hussenstein, der damaligen Richtstätte, wo Hus und Hieronymus von Prag für ihren Glauben den Feuertod erlitten. Wie oft war ich als Kind am Hussenstein mit anderen Kindern zum Spielen! Meine Oma brachte meine Schwester und mich immer wieder hierher, so wie andere Omas und Mütter ihre Kinder und Enkel auch. Der Hussenstein wurde uns nicht besonders erklärt, aber um den Hussenstein spielten wir stundenlang und viele Tage. So wurde mir der Hussenstein vertraut als Teil meiner Kindheit.

Meine Familie wohnte nicht weit entfernt von hier in der heutigen Oberen Laube 73. Dort befand sich über unserem Hauseingang eine Plakette mit dem Bild eines Mannes mit mächtigem Bart. Meine Oma las mir den Text der Plakette vor, dass hier an der Stelle unseres Hauses während des Konzils von Konstanz das Gefängnis von einem Hieronymus von Prag war, eben dem Mann mit dem Bart. Meine kindliche Phantasie blühte auf und wenn ich im Keller Holz oder Kartoffeln holen musste, hatte ich immer eine Beklemmung und auch Angst, dass plötzlich der Mann mit dem Bart erscheint oder in einer dunklen Kellerecke sein Ächzen im Kerker zu hören war. Natürlich sagte ich mir, das war lange her und unser Haus ist auch neu gebaut. Aber so ganz traute ich dem Frieden nicht und der Mann mit dem Bart, eben der Hieronymus von Prag, war fest platziert in meinem Kopf und Herz und blieb es bis heute.

Ja, und das heutige Hus-Museum am Schnetztor! Dort war im Krieg und auch noch später die Bäckerei Weißhaar, wo ich oft das Brot holte. Wenn ich heute im Hus-Museum bin, denke ich immer daran, dass ich hier als Junge ein- und ausging. So ist mir auch in der Erinnerung Jan Hus auf persönliche Weise vertraut. Ich war immer an einem Ort, wo er auch war. Die historische Bedeutung wurde mir erst später bewusst und ich bin dankbar, heute darüber berichten zu können.

Aber genug der Erinnerungen. Unser Blick geht heute beim gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Gedenken auch zurück an unsere Geschichte in Gänze. Wir wissen, wie sich unsere Völker im Zeichen des Nationalismus auseinanderlebten und Konflikte hatten. Wir Deutsche vergessen auch nicht unsere Schuld aus der Nazi-Zeit. Aber welch ein Wandel und Zeichen der Hoffnung, dass wir jetzt in der Europäischen Union in Frieden leben und in guter Nachbarschaft das Erbe unserer gemeinsamen europäischen Geschichte pflegen können. So wie heute die Erinnerung zu Ehren von Hieronymus von Prag. Sein Märtyrertod und das Leben und Sterben von Jan Hus bleiben für uns Vermächtnis und Verpflichtung, gemeinsam das europäische Haus weiterzubauen in Frieden und Freiheit.