Was hat das Konstanzer Konzil mit der Geschichte der Schweiz zu tun?

Die Schweiz und das Konstanzer Konzil verbindet viel mehr als man zunächst vermuten mag! So unwesentlich die Flucht Papst Johannes XXIII. uns heute vorkommen mag, ihre Auswirkungen sind noch täglich in der Grenzregion spürbar. Doch wie kam es dazu?

Im 14. Jahrhundert herrschten die Habsburger über weite Teile des Südwestens des Heiligen Römischen Reiches. Sie besaßen diverse Gebiete, Ämter und Städte im Elsass, Breisgau, Hegau, Thurgau und Sundgau. Der Aargau war ihr altangestammtes Gebiet. Von dort aus stiegen die Habsburger zur europäischen Großmacht auf und erweiterten Macht und Einfluss seit dem 12. Jahrhundert kontinuierlich.

Nach dem Tod des deutschen Königs Rudolf von Habsburg 1291 begann in den Wirren um seinen Nachfolger die Feindschaft zwischen den Habsburgern und der „Alten Eidgenossenschaft“. Ursprünglich aus Uri, Schwyz und Unterwalden bestehend verfolgten die Eidgenossen das Ziel, dem ständigen Machtausbau der Habsburger Einhalt zu gebieten. Infolgedessen entstanden die Schweizer Habsburgerkriege. Ein Konflikt um mittel- und ostschweizerische Gebiete, der mit zahlreichen Unterbrechungen über Jahrhunderte hinweg latent schwelte.

1415, während des Konstanzer Konzils, erreichte die Auseinandersetzung zwischen Habsburgern und Eidgenossen einen Höhepunkt. Der herrschende Habsburger, Herzog Friedrich IV. von Tirol, half Papst Johannes XXIII. bei der Flucht aus Konstanz, als dieser realisierte, dass er von der Konzilsversammlung zur Abdankung gezwungen werden sollte. König Sigismund, Initiator des Konzils,

war sehr erzürnt über die päpstliche Flucht mit fürstlicher Unterstützung. Er verhängte die Reichsacht über Friedrich IV. und gebot allen Fürsten, Grafen und Städten des Reiches bei der Bestrafung behilflich zu sein. Bedeutende habsburgerische Städte wie Luzern und Winterthur wurden als reichsunmittelbar erklärt, sie waren also als Reichsstädte nur noch dem König untertan. Die Konzilsversammlung unterstütze Sigismund, in dem sie die Eidgenossen zur Hilfe verpflichtete und sie aufforderte, in das habsburgerische Gebiet einzumarschieren. Die Schweizer nahmen daraufhin den Aargau sowie Teile des Thurgaus ein. Der Konflikt dauerte weiter an, erst der 1417 neu gewählte Papst Martin V. konnte vermitteln. Gegen hohe Bezahlung konnte Herzog Friedrich IV. einige seiner Herrschaften zurücklösen, einzig die Besitzungen der Eidgenossen blieben davon ausgenommen. Damit war der territoriale Zusammenhang der Eidgenossenschaft erstmals gegeben, während Friedrich IV. das Kernland seines Geschlechts verloren hatte.

Der Konflikt zwischen Eidgenossen und Habsburgern schwelte nach dem Konzil weiter. Erst 1474 wurde mit der „Ewigen Richtung“ in Konstanz ein Freundschaftsvertrag mit gegenseitigen Hilfsverpflichtungen geschlossen. Die Habsburger verzichteten ausdrücklich auf die an die Eidgenossen gefallenen Gebiete. Die politischen Entwicklungen am Bodensee fanden jedoch erst nach Schluss des Schwabenkrieges im September 1499 ein Ende. Alpenrhein, Bodensee und Hochrhein etablierten sich als Grenze zwischen Schweiz, Deutschland und Österreich.

Die Nachwirkungen des Konstanzer Konzils

Als das Konzil im April 1418 beendet wurde, waren viele Anliegen nicht erreicht worden. Andere geschichtliche Ereignisse sind gar erst durch die Begebenheiten zwischen 1414 und 1418 verursacht worden und können noch heute auf das Konzil zurückverfolgt werden. Die 1417 in Konstanz vorgenommene Verleihung der Mark Brandenburg an Friedrich von Hohenzollern etwa begründete eine politische Ordnung, die als "Preußen" später Weltgeschichte schreiben sollte.

In Böhmen führte die Kunde von der Hinrichtung des ReformatorsJan Hus zur offenen Revolte der Bevölkerung, die die Herrschaft Sigismunds als böhmischer König nicht anerkannte. Die Anhänger Hus', die "Hussiten", waren Teil einer europaweiten Entwicklung, die gerade durch das Konstanzer Konzil entkräftet werden sollte.

Die Reform der Kirche an "Haupt und Gliedern" konnte vom Konzil nicht erreicht werden. Zwar wurde das Vorhaben auf zukünftige Konzilien vertagt, doch auch dort nicht gelöst. Rund einhundert Jahre später prangerte Martin Luther in seinen 95 Thesen die immer noch herrschenden Missstände in der Kirche an und gab damit den endgültigen Auslöser für eine Epoche, die den Namen "Reformation" erhalten sollte. Mitgetragen werden sollte die Reformation vom Humanismus aus Italien. Auch dieser wurde in Konstanz durch den regen Austausch der angereisten Gelehrten aus ganz Europa gestärkt. Unzählige weitere Spuren des Konzils sind nicht zuletzt im Stadtbild der Konstanzer Altstadt deutlich sichtbar festzustellen. (sb)

Richentalchronik

Die Chronik von Ulrich Richental ist eine der wichtigsten Quellen, die noch heute zum Geschehen des Konstanzer Konzils existiert. Sie gibt Aufschluss über die wichtigen Ereignisse und Teilnehmer und enthält Personen- und Wappenverzeichnisse sowie Preislisten. Nur wenige Abschriften der Richental-Chronik haben die Jahrhunderte überdauert; bekannt sind heute sieben bebilderte und acht unbebilderte Handschriften und jede von ihnen ist ein Unikat. Die Exemplare in Konstanz, Prag, Karlsruhe, Stuttgart, Wien und sogar New York unterscheiden sich inhaltlich und in der Illustration. Entstanden sind sie zwischen 1460 und 1560, somit ist keine davon Richentals Urfassung, die der Konstanzer Bürger vermutlich um 1420 schrieb und anschließend illustrieren ließ.

Da Richental –  offenbar finanziell und beruflich unabhängig und in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebend –  selbst kein offizieller Konzilsteilnehmer war, befragte er bei seiner Recherche Freunde und Bekannte und ging, wie er selbst beschreibt, auch von Haus zu Haus. Für Auskünfte zögerte er nicht eine abgeschriebene Urkunde oder ähnliches aus eigener Tasche zu nehmen, um seine Informanten zu entlohnen. Vermutlich kam ihm nach Abschluss des Konzils die Idee, seine Aufstellungen und Tagebücher in einer Chronik zusammenzufassen. 1437 starb Ulrich von Richental im hohen Alter von knapp 90 Jahren. Eine Straße im Konstanzer Stadtteil Paradies erinnert noch heute an den Chronisten des Konstanzer Konzils. (tr)