Von Sultanen, Brillen und gutem Kaffee – Muslime im Mittelalter
Wahrscheinlich haben nur die wenigsten Konstanzer der Konzilzeit je einen Muslim getroffen. Der Islam war ein den Süddeutschen sehr fremder Glaube, über den kaum etwas bekannt war. Die osmanische Expansion Ende des 14. Jahrhunderts, ihr Vorrücken in Südosteuropa mit Schlachten, bei denen auch vereinzelte Ritter und Adelige aus dem Hegau beteiligt waren, führte in Konzilzeiten zu Schreckensbildern über die näher rückenden Osmanen. Aber fangen wir von vorne an:
Schon kurz nach dem Tod des Propheten Mohammeds im Jahre 632 breitet sich die neu entstandene Religion von Mekka und Medina ausgehend aus. Mit der Eroberung Spaniens gelangte die islamische Expansion weit nach Europa hinein. Nur ein Jahrhundert nach dem Tod des Propheten erstreckte sich der arabische Einfluss vom Atlantik im Westen bis ins heutige Pakistan im Osten. Auch Jerusalem und seine für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen bedeutenden Wallfahrtsorte blieben für mehrere Jahrhunderte unter muslimischem Einfluss. Christliche Heere zogen in zahlreichen Kreuzzügen immer wieder nach Jerusalem, um das Heilige Land zurück zu erobern. Waren diese erfolgreich, etablierten sich Kreuzfahrerstaaten, die wiederum von muslimischer Seite angegriffen wurden, um dann wieder von christlichen Kreuzfahrern angegriffen zu werden.
In Spanien und anderen eroberten Regionen begannen die Muslime schon bald damit, viele der Bücher antiker Autoren in ihre eigene Sprache, das Arabische, zu übersetzen und die Ideen, die sie darin entdeckten, weiterzuentwickeln. Viele ihrer Entwicklungen und Erfindungen, die durch christlich-muslimische Kontakte auch zu uns kamen, prägen unser Leben bis heute: Das Ziffernsystem, Fensterglas oder auch die Brille! In der Richentalchronik finden wir Abbildungen davon. Auch die Medizin, die Chirurgie und das System „Krankenhaus“ wurden sehr stark von den Konzepten der Muslime geformt. Und wussten Sie, dass auch der Kaffee erst durch osmanische Kaufleute nach Nordeuropa kam? Darüber hinaus waren die Muslime entscheidende Vermittler beim Kuturtransfer mit Asien – erst durch die regen Handelstätigkeiten zwischen asiatischen, muslimischen und europäischen Kaufleuten erreichten Erfindungen wie Papier, Reis, Kulturpflanzen oder Zitrusfrüchte Europa. Besonders rege Handelsbeziehungen bestanden spätestens seit Ende des 13. Jahrhunderts zwischen der Republik Venedig und dem Osmanischen Reich. Venedig, von wo aus Händler auf dem Seeweg in ferne Länder reisten und kostbare, exotische Waren einkaufen konnten, war einer der wenigen europäischen Orte, an dem man Muslimen begegnen und mit ihnen Handel treiben konnte.
Dass die Muslime auch in den Köpfen der Konstanzer präsent war, zeigt sich daran, dass beispielsweise unter den Wappen der Richental-Chronik auch dasjenige des großen Sultans und vieler ihm angeblich untergeordneter Reiche zu finden ist. Man stellte sich eine äußerst wichtige Persönlichkeit vor, die so auch in einen (noch ungeklärten) Zusammenhang mit dem Konzil in Konstanz gebracht wurde. Tatsächlich zum Konzil in Konstanz war aber – soweit wir das heute wissen – wohl kein Muslim gekommen. Schade eigentlich!
Bilder:
links: Auch wenn sie damals noch ein kleines bisschen anders aussah, so ist die Brille auf der Nase eines Konzilteilnehmers doch unschwer zu erkennen. Richental-Chronik © Rosgartenmuseum
Mitte: Zahlreiche Bauwerke zeugen auch heute noch von der ehemaligen Präsenz der Muslime in Spanien, so beispielsweie die Alhambra, eine mittelalterliche Stadtburg in Granada, die heute zum Unesco Weltkulturerbe zählt.
rechts: Das Wappen des großen Sultans (vermutlich Saladin) spielt unter den hunderten Wappen der Richentalchronik eine große Rolle. Richental-Chronik © Rosgartenmuseum